Fotohandwerk und Fotokunst sind zweierlei. Im Texten gilt das Gleiche: Das Werk des Textkünstlers ist geschützt, solides News-Handwerk macht noch keinen „kunsthaften“ Text. Das hat rechtliche Folgen.
Nach den beiden Bundesgerichtsentscheiden zum „Bob-Marley“-Bild und zum Bild von „Wachmann Meili“ („persönlich“ rot vom Dezember 2004) sind Informationsvermittler hellhörig geworden: Was für Fotografien gilt, muss doch auch für Texte gelten. „Es kann doch nicht jede einfach Pressemeldung ein urheberrechtlich geschütztes Werk sein“! Viele Agenturmeldungen gehen auf Pressecommuniqués oder zufälliges Aufschnappen zurück. News Journalisten verarbeiten Primär- oder Sekundärtexte. Deswegen entsteht noch kein kunstvoller Text. Das ist Nachrichten-Handwerk, keine Kunst.
Nicht jeder Text ist ein künstlerisches Werk (siehe „persönlich“ rot, April 2004). Auch die meisten Fachinformationen und Gebrauchsanweisungen sind wie viele kurze Pressemitteilungen keine urheberrechtlich geschützten Werke. Auch gesammelte Tatsachen- und Fachinformationen – wie zum Beispiel Agenturmeldungen und Verzeichnisse - sind noch keineswegs Werke im urheberrechtlichen Sinne. Das Banale ist nicht geschützt. Ebenfalls nicht urheberrechtlich geschützt sind Gesetzestexte, Zahlungsmittel, Gerichtsentscheide, sowie Protokolle und Berichte von Behörden und Verwaltungen (Art. 5 URG). Wer amtlich Publiziertes sammelt und verwertet, kann nicht verhindern, dass ihn ein anderer nachahmt.
Agenturen behaupten das Gegenteil
Nachrichtenagenturen und Zeitungsredaktionen stellen sich zwar auf den Standpunkt, "dass sämtliches Nachrichten- und Bild/Grafikmaterial aus unserem Dienst urheberrechtlich geschützt ist". Da soll also ein knapper Agentur-Text, der seinerseits auf einer zufällig aufgeschnappten Radiomeldung oder einem vorformulierten Communiqué beruht, eine „geistige Schöpfung der Literatur mit individuellem Charakter“ sein? Dem ist nicht so. Genau so wenig wie jedes Bild ein Werk der Kunst ist, wie der Wachmann-Meili-Entscheid zeigt. Die individuelle geistige Schöpfung fehlt bei Agenturmeldungen, die sich im wesentlichen auf knappe Faktenwidergabe (oft basierend auf Pressekommuniqués von Institutionen) beschränken. Wir zitieren den Urheberrechts-Kommentar von Barrelet/Egloff N 3 zu Art.28 URG: "Eine durchschnittliche Nachrichtenmeldung ist daher gar kein Werk und kann beliebig verwendet werden“.
Nur „kunsthafte“ Texte sind geschützt
Nach dem „Meili“-Urteil des Bundesgerichts verstiegen sich einige Verlagsjuristen zu den tollsten Kapriolen. Sie behaupteten, der Urheberrechtsschutz von Fotografien habe nichts mit Kunst zu tun. In diesem Sinn äusserten sich anfangs Januar 2005 gleich mehrere Votanten an der vom MAZ (die Schweizer Journalisten Schule) und vom Schweizer Forum für Kommunikationsrecht (SF) organisierten „Soirée zum Schutz der Fotografie“. Dies entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes, welcher nur die Schöpfungen der Literatur und der Kunst erfasst, und darunter namentlich auch „Sprachwerke“ und „fotografische Werke“ aufzählt. Es gehe nicht an, schreibt Gregor Wild in der Zeitschrift „Sic! 2/2005, gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes jedem Bild Urheberrechtsschutz zu verleihen: „Das Kunsthafte ist auch für Fotografien elementare Bedingung des Urheberrechtsschutzes“. Das gleiche gilt aber auch für Texte. Nur Texte, die das Tatbestandsmerkmal „Kunst“ erfüllen, sind urheberrechtlich geschützt.
Der Kriterien-Katalog
Was aber ist das „kunsthafte“ an einem Text? Der Autor nennt als erstes Kriterium den „Überraschungseffekt“. Eine Fotografie und ein Text müssen etwas Besonderes ausweisen, über die Normalität hinausgehen. Diesem ersten und unzuverlässige Eindruck folgt eine „Detailanalyse“: Ausgehend vom Gestaltungsspielraum und unter vergleichendem Beizug anderer Sprach- oder Bildwerke wird jeder Bestandteil auf seine Andersartigkeit und sein Nichtnaheliegen untersucht. Auf die Abweichung vom Üblichen, gebräuchlichen Gestaltungsraster kommt es an. Wählte der Textautor eine besondere Perspektive? Einen unüblichen Ablauf? Besondere schöpferische Formulierungen und Zusammensetzungen? Auffallende Nuancierung? Gibt der Text einen „starken Eindruck von der Persönlichkeit“ oder vom beschriebenen Ereignis?
Auch Rezipienten sind massgebend
Massgebend ist auch die „Rezeption“ des Marktes. Jeder Kunstmarkt – auch jener der Schreibkunst – ist bis zu einem gewissen Grad selbstreferenziell. Und der Werkcharakter ist im „Gesamtkontext“ zu würdigen, unter Einbezug der Umstände ihrer Entstehung und der konkreten Kommunikationssituation: „Gerade für die Fotografie ist es regelmässig der Kontext der Präsentation oder die Rezeption, welcher in den Augen des Publikums das „banale Knipsbild“ vom „genialen Schnappschuss“ trennt“. Auch hier gilt es anzufügen: Genau das Gleiche gilt auch für Texte. Ein kurzer Text kann ein kunstvoller Wurf oder eine banale Meldung sein. Nur kunsthafte Texte sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen mit Quellenangabe, dort, wo notwendig zur Illustration einer Aussage oder zur aktuellen Berichterstattung, zitiert und auszugsweise wiedergegeben, darüber hinaus aber nicht frei verwertet werden.
Kopieren kann unlauter sein
Texte, die nicht urheberrechtlich geschützt sind, dürfen frei verwendet werden. Allerdings kann das systematische Auswerten nicht geschützter Nachrichtenmeldungen gegen das UWG verstossen, weil damit unlauterer Wettbewerb betrieben wird. Art. 5 lit. c UWG lautet: „Unlauter handelt insbesondere, wer das marktreife Arbeitsergebnis eines andern ohne angemessenen eigenen Aufwand durch technische Reproduktionsverfahren als solches übernimmt und verwertet“.
von Dr. iur. Bruno Glaus